Direktor einer 75-Jährigen:
Fragen an Erol Weiß zum vhs-Jubiläum

2022 gibt es die vhs Karlsruhe seit 75 Jahren, das ist ein ganzes Menschenleben. Seitdem haben sich die vhs und die Welt sehr geändert. Wie bleibt die vhs heute neben kommerziellen Sprachschulen, hippen Fitnessstudios und unzähligen kostenlosen online-Seminaren aller Art konkurrenzfähig?

Die Volkshochschule bleibt weiterhin interessant für viele Menschen, weil sie für jeden etwas bietet. Alles aus einer Hand könnte man sagen. Es gibt quasi nichts, was wir nicht anbieten oder anbieten könnten, außer esoterische Themen. Das ist unsere Stärke. Das ist beides einzigartig in der Bildungslandschaft, wo sich viele auf kleine Segmente spezialisieren. Außerdem setzen wir selbstverständlich bei jedem Thema die jeweiligen Expertinnen und Experten ein.

Erol Weiß, Direktor der vhs Karlsruhe

vhs ist auch ein Treffpunkt für jung und alt und für alle sozialen Schichten, es gibt keinerlei Zugangsbeschränkungen. Wir haben für alle eine offene Tür.

— Erol Weiß, Direktor

Wie geht die vhs in Zeiten des Umbruchs mit ihren Angeboten darauf ein? Warum brauchen wir die Volkshochschule? Alles Wissen steht ja auch im Internet zur Verfügung.

Die vhs Karlsruhe hat sich schon früh und das schon vor Corona auf den digitalen Weg gemacht. Seit einiger Zeit bieten wir nicht nur reine online-Kurse zusätzlich zu den Präsenzkursen an, sondern auch Hybridkurse. Das heißt, einige Teilnehmer*innen sitzen im Kursraum und andere werden über das Netz zugeschaltet. Das geht heutzutage technisch ganz hervorragend und bietet vielen Menschen die Möglichkeiten an einem Kurs auch teilzunehmen, wenn sie z.B. auf Dienstreise oder in Urlaub sind, oder wenn sie sich ein Bein gebrochen haben und nicht aus dem Haus können, oder aber auch abends und wenn es glatt ist, nicht vor die Tür möchten. Diese drei Formate sind die Zukunft der vhs, eine Zukunft, in der wir schon angekommen sind.

Die Volkshochschulen sind ein Treffpunkt und nirgendwo anders kommen Menschen unterschiedlichster sozialer Milieus zusammen. Die Teilnehmer*innen verbindet das Thema, das sie alle interessiert. Nach dem Kurs gehen viele noch in ein Café oder in eine Gaststätte. Es entstehen Bekanntschaften und Freundschaften.

Man kann sich heutzutage über Youtube und andere Kanäle jedes Wissen aneignen. Aber der große Vorteil von Volkshochschulen ist, dass man in den Kursen immer von einem Dozent oder einer Dozentin begleitet wird. Dadurch entsteht eine ganz besondere Bindung, die niemand missen möchte.

Beweglich sein, sich immer neu erfinden und nach vorne schauen, wie schafft man das mit 75?

Die vhs ist jung geblieben, auch durch ihre Mitarbeiter*innen. Unsere Jüngste ist 19 Jahre alt, die älteste 63. Dazwischen haben wir die ganze Bandbreite. Die Kolleg*innen sind äußerst innovativ. Die meisten gesellschaftlichen Trends werden am schnellsten von Volkshochschulen aufgenommen, weil sie schon immer agil waren. Deshalb konnten wir in Karlsruhe auch sofort mit online-Kursen durchstarten, als im Lockdown keine Präsenzkurse möglich waren.

Wie ist die vhs in der Stadt verankert?

Die vhs Karlsruhe ist als Verein 1947 von der Stadt gegründet worden. Von Anbeginn an war der jeweilige Oberbürgermeister Vorstandsvorsitzender. Er hat dieses Amt inzwischen an den Kulturbürgermeister delegiert. Auch die Kulturamtsleiterin ist Mitglied des Vorstands. In der Mitgliederversammlung können nur Institutionen vertreten sein, eine davon ist die Stadt, die durch acht Gemeinderät*innen aus den verschiedenen Parteien vertreten ist.

Die vhs ist ein wichtiger Bestandteil der Stadtgesellschaft. Neben den vielen Veranstaltungen (Kurse, Seminare, Vorträge, Ausstellungen etc.) in der Allgemeinbildung und der beruflichen Bildung ist die vhs Karlsruhe die Anlaufstelle für Grundbildung. In der Alphabetisierung machen wir sehr intensiv aufsuchende Bildungsarbeit. Das heißt wir gehen da hin, wo die Menschen sind. Wir sind der größte Anbieter von Deutschkursen und mit dem Programm “Kultur und Integration” gelingt es, die Migrant*innen mit den Kultureinrichtungen vertraut zu machen.

Seit einiger Zeit haben wir auch ein wichtiges Programm für Menschen mit Beeinträchtigungen, das als Pat*innenprogramm ausgestaltet ist.

Wer kommt zur vhs?

Das ist das Schönste. Wir machen Bildung für alle Menschen zugänglich. Es kommt jede Altersgruppe zur vhs. Es beginnt bei den Schwangeren, dann Eltern-Baby-Kurse, Seminare für Kleinkinder und Lernförderung für Jugendliche. Die größte Altersgruppe sind die 30- bis 55-jährigen. Außerdem haben wir viele Senior*innen, u.a. in den Seniorenakademien. Unsere älteste Teilnehmer*in ist 95.

Außerdem kommen wie oben schon erwähnt alle sozialen Milieus zu uns in die vhs. So sitzt z.B. die Professorin für Architektur neben dem Kassierer eines Discounters. Handwerker und Bankkaufleute, Es finden sich alle Berufsgruppen in der vhs.

Leider ist der Männeranteil noch nicht so groß, wie wir uns das wünschen. Aber er wächst.

Wer steckt heute hinter der vhs Karlsruhe? Wer „macht“ vhs?

Ich vergleiche die vhs immer gern mit einem Räderwerk. Vom Hausmeister – bei uns die Haustechniker, weil sie sich um die Medientechnik in den Kursen kümmern – über die Anmeldung, die Sachbearbeiter*innen, die Kurse in die Verwaltungssoftware eingeben und Listen verschicken, zu den Fachbereichsleiter*innen die Kurse entwickeln, neue Seminare konzeptionieren und planen. Die Buchhaltung und Verwaltungsleitung, die zentralen Dienste, die Programmdirektorinnen und letztendlich auch ich. Wir sind alle Teil des Räderwerkes, das ineinandergreifen und gut geölt arbeiten muss.

Aber den wichtigsten Anteil – den, den die Teilnehmer*innen am ehesten wahrnehmen, das sind die Kursleiter*innen. Sie prägen die vhs, da sie über ihre Tätigkeit eng mit den Teilnehmer*innen zusammenarbeiten.

Gute Dozent*innen sind das Gesicht der vhs. Wie finden Sie Dozent*innen und wie bindet man sie an die vhs?

Natürlich haben wir einen großen Pool an Dozent*innen aus dem wir schöpfen können. Aber selbstverständlich melden sich viele Expert*innen auch bei uns. Denn die Tätigkeit an der vhs ist attraktiv. Sie ist zwar nicht lukrativ, reich wird man bei uns als Dozent*in nicht. Aber wir bieten zahlreiche Events und auch kostenlose Fortbildungen an. Außerdem pflegen wir einen sehr engen Kontakt zu unseren Dozent*inne. Wir sind eine Familie: die vhs-family.

Wir finden neue Kursleiter*innen auch über Empfehlungen anderer Volkshochschulen oder über Anzeigen.

Worauf können sich die Menschen im Jubiläumsjahr freuen? Wird es besondere Angebote geben?

Wir starten mit dem Jubiläumsjahr im März und richtig los geht es mit einer Abendveranstaltung, die ganz anders designt ist, als sonst Veranstaltungen zu einem Jubiläum. Am Sonntag, 27. März wird auch der Oberbürgermeister dabei sein und viele andere. Es wird ein spannender abwechslungsreicher Abend zum Einstieg in das Jubiläumsjahr werden. Im Lauf des Jahres wird es immer wieder Veranstaltungen geben, in denen unser Motto “Haltung zeigen” thematisiert wird.

Ganz besonders freue ich mich auch auf den Podcast mit von unseren Dozent*innen, die zum Thema einiges zu sagen haben und uns natürlich auch erzählen, warum sie so gern an der vhs unterrichten. Mehr wird nicht verraten. Die Kolleginnen vom Marketing haben tolle Ideen und können wegen der Fülle gar nicht alle umsetzen.

Welches sind die drei größten Herausforderungen für die vhs?

Wir müssen unsere Teilnehmer*innen wieder zurück gewinnen, die sich in der Corona-Zeit, insbesondere während der zwei Lockdowns, anders orientiert haben.

Wir benötigen eine solide Finanzierung durch Land und insbesondere durch die Stadt. Hier hat die Stadt kürzlich mit einem Mietzuschuss zwar nachgelegt. Das freut uns auch sehr und zeigt uns, dass erkannt wurde, wie wichtig die vhs für den gesellschaftlichen Zusammenhalt ist. Aber wir benötigen noch einen Investitionszuschuss und wenn wir der Aufgabe, eine Begegnungsstätte auch außerhalb des Kursgeschehens zu sein, besser gerecht werden möchten, benötigen wir zusätzliche Mitarbeiter*innen für die Betreuung und das erfordert einen noch höheren Zuschuss. Im Vergleich zu anderen großen Volkshochschulen gibt es da immer noch Nachholbedarf.

Außerdem muss die vhs weiterhin am Puls der Zeit bleiben und neue innovative Angebote generieren. Sie muss in ihrer internen Organisation noch agiler werden, als sie schon ist. Das ist für manche Kolleg*innen nicht so einfach. Aber es muss sich vieles ändern, damit alles so bleiben kann wie es ist, hat mal ein kluger Mensch gesagt …

Ihr  Wunsch für die Zukunft der vhs?

Ich wünsche mir, dass die Menschen die vhs als zweites Zuhause annehmen, als einen Ort, der ihnen gehört, dass sie zum Austausch mit anderen in unser Foyer im Hofgebäude kommen, dort verweilen, lernen, lesen oder auch nur miteinander quatschen. Und auch kostenlose Schnupperangebote nutzen. Die vhs ist nämlich nicht nur Lernort, sondern als sogenannter Dritter Ort zwischen Arbeit und Wohnung auch ein Ort der Begegnung und hier treffen sich eben alle Altersgruppen und soziale Milieus.

Von der Gründung bis heute

4.1.1947

Gründungsversammlung im neuen Rathaus, vhs als eingetragener Verein, Dr. Ulrich Bernays wird erster Leiter

1.3.1947

Feierliche Eröffnung im Bonifatiussaal

 

3.3.1947

Beginn der ersten Vortragsreihe „Die philosophische Persönlichkeit“  in der Technischen Hochschule

14.4.1947

Erstes Semester der Abendschule

1987

Start des Frauenprogramms

1989

Gründung der Jugendkunstschule

1993

Nach einer langen Zeit der räumlichen Enge und der Provisorien bezieht die vhs das Studienhaus Kaiserallee 12e

11.3.2011

Die Veranstaltungsreihe zu Japan wird wegen des Tsunamis und des Reaktorunfalls innerhalb weniger Tage auf die Ereignisse umgeplant. Stichwort: agile vhs

13.3.2020

Die vhs muss wegen der Pandemie erstmals für mehrere Wochen schließen

16.12.2022

Das Virus lässt nicht locker – die vhs muss bis Juni 2021 schließen

2022

Die vhs feiert